Reformation im Baselbiet

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Reformation im Baselbiet

von Pfr. Dr. h.c. Markus Christ, Sissach

Sissach in der Reformationszeit

Wie war das bei uns damals? Was 1517 mit dem Thesenanschlag von
Martin Luther in Wittenberg begonnen hatte, führte zwölf Jahre später
auch in der Nordwestschweiz zur Reformation.
Wir freuen uns,  in loser Folge über einige wichtige Ereignisse der Baselbieter Reformationszeit berichten zu dürfen.
Dazu haben wir Pfr. Dr. h.c. Markus Christ gewonnen, der in unserer
Kirchgemeinde zuhause ist. Markus Christ war 27 Jahre lang Pfarrer
in Oltingen-Wenslingen-Anwil und prägte später als Kirchenratspräsident
die Geschicke der evangelisch-reformierten Kirche Baselland.
Dabei hat er sich auch als Lokalhistoriker und Mitherausgeber der
Baselbieter Mundartbibel einen Namen gemacht.

12 Jahre im Überblick

Vielerorts wird im Jahr 2017 das Jubiläum «500 Jahre Reformation
» gefeiert, dies in Erinnerung an den Thesenanschlag Martin Luthers
am 31. Oktober 1517. In unsrer Region waren damals schon
Reformbemühungen in Kirche und Gesellschaft zu spüren, dies vor
allem wegen drei wichtigen Geschehnissen, die einen Aufbruch markierten:
Zum einen war es das Konzil in Basel (1431-1437, danach
Fortsetzung bis 1449 in Ferrara und Florenz), zum andern wurde im
Jahr 1460 die Universität Basel gegründet, und schliesslich war es
die Einführung des Buchdrucks. In Basel wurden bei Johannes Froben
alle bis 1520 erschienenen Schriften Martin Luthers gedruckt, 1523
erschien Luthers Neues Testament in der Basler Druckerei von Adam
Petri, dem Nachfolger Frobens.
War bei Luthers Thesen vor allem der Ablasshandel ein Thema, so
beschäftigten die Leute bei uns verschiedene kirchliche Vorschriften.
Am Palmsonntag 1522, also während der Fastenzeit, kam es zu einem
Spanferkelschmaus im Klybeckschlösschen in Basel. Den Bruch
des Fastengebots begründeten die Teilnehmer mit der evangelischen
Freiheit. Bei der Fronleichnamsprozession 1522 trug Wilhelm Reublin
nicht die Reliquien, sondern eine Bibel. Er begründete dies mit den
Worten: «Das ist das rechte Heiltun, das Andre sind Totenbeine.» Und
1523 war es Stephan Stör in Liestal, der durch die offizielle Verheiratung
gegen das Gebot des Zölibats verstiess.
Nicht nur kirchliche Erneuerung verlangten die Einwohner auf der
Landschaft, sondern auch soziale Reformen; zum einen ging es um
die Zehntabgaben, die nicht mehr für den Klerus Verwendung finden
sollten, sondern den Gemeinden und den Armen zugutekommen
sollten, und zum andern um die seelsorgerliche Betreuung.
So kam es 1525 zu einem Bauernaufstand auf der Landschaft; die
Untertanen verlangten die Predigt nach dem neuen Glauben, und
das Farnsburger Amt wollte auch die freie Pfarrwahl. Als Folge des
Bauernaufstandes erliess der Rat die sogenannten Freiheitsbriefe,
die im materiellen Bereich den Forderungen gerecht wurden. Bei den
reformatorischen Anliegen blieb allerdings alles beim Status quo.
Nach dem Bauernaufstand und trotz den Freiheitsbriefen setzte sich
die Reformation auf der Landschaft nur schleppend fort. So drohte
der Rat dem Priester von Kilchberg mit dessen Absetzung, wenn er
nicht die Messe und das Halten der Jahrzeiten – beides hatte er abgeschafft – wieder einführe.
Seit 1522 wirkte in der Stadt Basel Johannes Oekolampad, zunächst
als Korrektor in einer Druckerei, dann als Lehrer der Universität, als
Pfarrer zu St. Martin und schliesslich als Pfarrer und Antistes (Pfarrer
am Münster, Vorsitzender der Synode, Vertreter der Kirche nach aussen).
Er sandte, nachdem er für die Landschaft eine Visitation angeordnet
hatte, im Herbst 1528 einen Hirtenbrief an die reformgesinnten
Pfarrer der Landschaft.
Ebenfalls im Jahr 1528 kam es auf der Landschaft zu Bilderstürmen in
den Kirchen. Es waren im Gegensatz zu andern Orten nicht spontane
Aktionen, sondern aufgrund von Gemeindeversammlungsbeschlüssen
wurden die Bilder übertüncht oder zerstört, Heiligenstatuen entfernt
und teilweise verbrannt, die Altäre geplündert. Immer deutlicher
zeichnete sich die Wendung zur Reformation ab.
Und 1529 war es dann soweit: Am 9. Februar 1529 versammelten
sich Tausende auf dem Basler Marktplatz vor dem Rathaus und verlangten vor allem die Absetzung der altgläubigen Ratsmitglieder. Der
Rat, «übermeistert vom Volk», gab schliesslich nach. Damit war für
Stadt und Landschaft Basel die Reformation Tatsache. Und bereits
am 1. April 1529 wurde eine Reformationsordnung erlassen, die sowohl
Kirchenordnung als auch Sittenmandat war.

 

Peter Werli, Sissachs Reformationspfarrer

Von Markus B. Christ

Am 1. Mai 1529, keine drei Monate nach dem Durchbruch der Reformation in Stadt und Landschaft Basel (9. Februar 1529), übernimmt Peter Werli (man findet auch die Schreibweise Wehrli und Wehrlin) die Pfarrstelle in Sissach. Geboren und aufgewachsen ist Werli in Schaffhausen. Dort ist er am 18. Juni 1503 aktenkundig, da er sich vor dem Rat der Stadt Schaffhausen in einer Streitsache gegen eine gewisse Margaretha N. von Bischofszell rechtfertigen muss. Wieder erwähnt wird er als Kaplan zu St. Johann in Schaffhausen. Kapläne sind Hilfspriester des für eine Kirche bzw. Pfarrei zuständigen Hauptpriesters; sie werden auch Vikare genannt. Je nach Grösse der Gemeinde gibt es zahlreiche Kapläne. Peter Werli ist offen für die Reformbestrebungen, die sich vor allem mit dem Namen Sebastian Hofmeister, dem Wegbereiter der Reformation in Schaffhausen, verbinden. 1526 verheiratet er sich mit einer Frau, deren Name uns nicht bekannt ist (wie öfters in den Chroniken wird der Mann namentlich erwähnt, mit dem Zusatz «und seine Frau» oder «mit seiner Frau»). Seine letzte Zeit in Schaffhausen beschreibt Hans Wilhelm Harder in seiner Chronik der Stadt Schaffhausen (1844) wie folgt:

Der Kaplan Peter Werli wurde Freitags nach Matthäi (21. September), am 28. September 1526, vor Rath gestellt, um sich seiner freveln Rede wegen zu verantworten. Es wurde nämlich gegen ihn geklagt, dass er gesagt habe: «MH. (Miner Herren) wellint die Mess haben und es syg nüntz denn ain Abgötterey – er könne aber wohl Mess haben, dass ihm die nicht schade.» Er soll auch gesagt haben, er «halte nichts von der Mess, und hab doch Mess, des Einkommens wegen.» Darauf haben MH. Peters Antwort gehört und ihm demnach «sin Pfrund abkündet, dass er rummen sölle bis künftige Wienächt». Montags nach Jakobi (25. Juli), am 29. Juli 1527, verwies der Rat ihn und seine Frau aus der Stadt. «Sy söllen in der Stadt kainen eigenen Heerd mehr führen.»

Die Pfründe sind Stiftungen, aus deren Erträgen den Inhabern geistlicher Ämter der Lebensunterhalt bezahlt wird. Wem also die «Pfrund abkündet» wird, der bekommt keinen Lohn mehr, was einer Entlassung aus dem Amt gleichkommt. Werli verliert also seine Stelle und muss Schaffhausen verlassen. Da er Beziehungen zum Basler Reformator Johannes Oekolampad pflegt, zieht er mit seiner Familie nach Basel. Er begleitet Oekolampad auch zur Disputation nach Bern im Jahr 1528. Und es ist sehr wohl möglich, dass Oekolampad ihn den Sissachern als neuen Pfarrer empfohlen hat. Bei der ersten Synode am 11. Mai 1529 wird Peter Werli als Pfarrer von Sissach erwähnt.

Dass die «neue Lehre», verbunden mit der Abschaffung der Messe und der Heiligenverehrung, nicht auf die ungeteilte Zustimmung der Bevölkerung stösst, belegen Vorfälle im Rahmen der ersten Visitation im Jahr 1531. Oekolampad selbst nimmt diese im Auftrag des Rats der Stadt Basel vor. Neben einer Prüfung der kirchlichen Verhältnisse soll er dabei vor allem auch mit den Täufern ins Gespräch kommen.

Oekolampad steigt im Sissacher Pfarrhaus ab. Junge Burschen lassen aber ihm und dem Pfarrer gegenüber ihrem Ärger freien Lauf; sie taten ihnen «Schmach» an, wie der Visitationsbericht uns wissen lässt, indem sie nachts das Pfarrhaus besudeln. Auch ein weiteres Ereignis belegt die schwierige Stellung Werlis in Sissach: Hans Müller, ein Täufer, verdächtigt Werli, dass er seinen Sohn beim Vogt denunziert habe, weigert sich deshalb, dem Pfarrer zu mahlen und nennt ihn einen Lügner. Werli wird vom Gericht allerdings freigesprochen. Und dies obwohl einige Sissacher behaupten, Werli habe in der Predigt gesagt, die Kindertaufe sei nichts nütze, auch sei man weder Zins noch Zehnten schuldig, «doch sig es wol als gut, er neme es und ess es, als dass man es der oberkeit geben müsse!»

Im Frühjahr 1534 erkranken Werli und seine Frau ernsthaft. Jakob Schmit, der mit den Beiden das Abendmahl feiert, ohne dazu die Erlaubnis gehabt zu haben, wird von den Bannherren in Basel gerügt. «Derwyl er wider die satzungen der kilchen und der oberkeit gehandlet, die gmein Gottes geergert», solle er vor der Gemeinde in Sissach erklären, dass er Unrecht getan habe. Werlis Frau stirbt noch im Frühling an den Folgen der Krankheit, er wohl ebenfalls kurz danach. Am 15. Mai 1534 wird jedenfalls Andreas Graf, vormals Schlossprediger zu Farnsburg, als Nachfolger Werlis und damit als neuer Pfarrer von Sissach genannt.

 

 

Warum man beim Weintrinken nicht anstossen darf - die erste Kirchenordnung von 1529

Von Markus B. Christ

Bekanntlich ist am 9. Februar 1529 in Stadt und Landschaft Basel auf Beschluss des Rates der Stadt Basel die Reformation eingeführt worden. Zunächst bestimmte der Rat einen Ausschuss von 20 Männern, «dass sy die nüwung der artikel des evangelischen gloubens stellen und artikelieren und alsdann dieselben an einen grossen Rat langen lassen.» (Zitate in der originalen Schreibweise kursiv). Bereits sechs Wochen später, am 1. April 1529, ist die Reformationsordnung erlassen worden. In ihr wird ausgeführt, wie die «verworfenen Missbräuche durch wahren Gottesdienst ersetzt, die Laster abgestellt und bestraft» werden sollen. Sie war Kirchenverfassung und Sittenmandat zugleich.

Im ersten Teil enthält die Reformationsordnung Bestimmungen zur Neuordnung der Kirche, also Weisungen für die Diener der Kirche, die Leutpriester und Diakone, Ordnungen für die Sakramente Taufe und «des Herren Nachtmahl», Bestimmungen zur Schule: «Dieweil wir zů verkündung des Göttlichen worts/ vnd pflantzung eins fridſamen/ Chriſtlichen/ Burgerlichen weſens/ gelerter leuten nottürfftig/ wöllend wir/ mit Göttlicher hilff/ die ſchůlen für die jugend/ auch vnſer Vniuerſitet/ mit gůten/ gelerten ſchůlmeiſtern vnd profeſſoribus.» Aber etwa auch: «Wie die Laſter verbotten/ vnd die vbertretter der ſälbigen geſtrafft werden ſollen», Anweisungen zum Eherecht (Eheschliessung und Ehescheidung), Bestimmungen betreffend die Bilder: «Wir habend in vnſern kilchen/ zů Statt vnd Land kein bilder/ in anſehen/ das die vornaher vil anreitzung zůr abgötteryen geben/ darumb/ ſy auch Gott ſo hoch verbotten/ vnd alle die verflůcht hatt/ ſo bilder machen. Deßhalb wir fürohin/ mit Gottes hilff/ kein bilder vffrichten laſſen.», die Feiertage, ein Wort zu den Gotteslästerern, aber auch zu den Kleidern und schliesslich einen längeren Schlussabschnitt «vom zutrincken». Dieser lautet wie folgt:

«Das zůtrincken/ ſampt dem vnorderlichen trincken/ ſo man bißhar etwann vß anreitzung der andern/ etwann einer für ſich ſelbs getriben/ iſt ein fürnemliche vrſach/ darumb der zorn Gottes erweckt wirt/ zů dem dz auch ſollichs laſter den menſchen an ſinem lyb vnnd leben ſchädlich iſt/ Darumb ſo habend wir geordnet/ erkant/ vnd wöllendt das niemands in vnſerer Statt vnnd Landtſchafft/ er ſy Edel/ oder vnedel/ Geyſtlich oder weltlich/ von diß hin zůtrincken/ keiner dem andern/ es ſey halb/ gar vß/ oder ein theyl zetrincken/ weder offentlich/ noch heimlich.»

Auch die ‘Polizeistunde’ wird in diesem Artikel geregelt: «Wir wöllend auch/ das alle Zünfft/ Geſellſchafft/ Wyn/ vnnd Wirts hüſer/ Sommer vnnd Winters zyt/ ſo bald man das glöcklin im Münſter verlüttet hat/ zůgeſchloſſen/ die Geſt vnd geſellen heim/ oder an jr růw gewyſen/ vnnd jnen kein Wyn mehr gegeben werden/ by peen eines pfundt pfennig vnabläßlich zůbezalen.»

Das offenbar bisher übliche «Zutrinken» erwecke den Zorn Gottes und verführe andere zum Trinken; deshalb soll es nun verboten werden, und zwar im öffentlichen und im privaten Leben.

Es mag erstaunen, dass neben dem kirchlichen Teil der Ordnung so viele Bestimmungen enthalten sind, die das tägliche Leben und den Umgang miteinander prägen und beeinflussen sollen. Sie gehen zum Teil sehr ins Detail. Es gilt aber zu bedenken, dass die vom Rat erlassene Ordnung für die Gesamtheit der Bevölkerung Geltung hatte. Während heute eine Kirchenverfassung nur für die Mitglieder der entsprechenden Kirche verbindlich ist, gehörten damals alle Einwohner gleicher- weise zu Kirche und Staat. Die Reformationsordnung zeigt das Bild einer Staatskirche. Ordnungen und andere Erlasse des Rates haben die Bedeutung heutiger Gesetzgebung, allerdings ohne Volksabstimmung.

Neben der Reformationsordnung von 1529 gilt es zwei weitere wichtige Veröffentlichungen, die Leben und Glauben der damaligen Bevölkerung geprägt haben. Das ist zum einen – den Reformatoren war der Unterricht der Jugend ein grosses Anliegen – der sogenannte «Kinderbericht» des Oekolampad, den er 1525/26 geschrieben hat und in der Form des Katechismus (Frage – Antwort) alle wichtigen Fragen des Glaubens zum Thema hat. Erstmals in gedruckter Form erschienen ist er 1537, also erst nach Oekolampads Tod, als «Frag und antwort jn verhörung der Kinder».

Die zweite wichtige Publikation ist das «Bekannthnuss unsers heyligen Christenlichen Gloubens, wie es die kylch zu Basel haldt». Zunächst sind die fünf Hauptstücke des christlichen Glaubens[1] implizit aufgeführt, die übrigen Artikel behandeln den Bann und das Verhältnis zur Obrigkeit, reden vom Glauben und von den Werken, vom Jüngsten Gericht und vom Irrtum der Wiedertäufer.

Alle Pfarrer sind verpflichtet, einmal jährlich die Reformationsordnung und das Basler Bekenntnis von der Kanzel zu verlesen.

 

Vom Kirchenbesuch im 16. Jahrhundert

Markus B. Christ

Die Reformation von 1529 brachte unter anderem auch grosse Veränderungen in den sonntäglichen Gottesdienst. Die bisher übliche Messe wurde abgeschafft und durch den Wortgottesdienst abgelöst. Gerade für den Gottesdienst galt das reformatorische Prinzip «Sola scriptura» - allein durch die Schrift. «Damit aber das Göttlich wort klar und rein geprediget, sollen die Diener des Worts sich allein der Biblischen bücher, das ist der Newen unnd Alten Testamenten gebruchen.»[1]

Damit erhielt auch die Auslegung der Schrift ein stärkeres Gewicht; die Predigt rückte in den Mittelpunkt des Gottesdienstes. Was vorher allsonntäglich üblich war, nämlich die Messfeier, bei der die Gläubigen das Brot (die Oblate) entgegennehmen durften, das wurde neu an bestimmten Sonntagen als Nachtmahl oder Abendmahl gefeiert, wobei die Gläubigen Brot und Wein empfingen. Die Reformationsordnung von 1529 schreibt jährlich drei Abendmahlsfeiern vor: «dry mal, nämlich zu Ostern, Pfingsten und uff Wienacht». Für die Landschaft Basels bestimmte die Reformationsordnung zusätzlich: «Es sollend auch die Pfarrer uff dem Landt zu den obgenannten dryen Festen alle dry, vier oder fünff wochen zum wenigsten ein mal, wo sie Communicanten haben, des Herren Nachtmal mit grosser andacht und danckbarkeit halten.»

Der anfänglichen Begeisterung über das Abschaffen der Messe und die Konzentration auf das Wort wich aber bald einer gewissen Ernüchterung: Gewisse Elemente der vormaligen Messfeier wurde von Vielen schmerzlich vermisst, auch andere Gebräuche, wie etwa das Feiern der Jahrzeiten (die jährliche Erinnerung an die Verstorbenen im Rahmen einer durch die Angehörigen gestifteten Messe) oder die Wallfahrten fehlten im Glaubensalltag.

Ob es dem Verständnis von evangelischer Freiheit entsprochen hat, wenn die Reformationsordnung das mutwillige Versäumen des Gottesdienstes unter Strafe bei 1 Pfund stellt? Der entsprechende Abschnitt ist überschrieben mit: «Von übertrettung der Fyrtagen.» Sehr ausführlich wird das nun beschrieben: «Wölche an den Fyrtagen obgemält, on redliche ursachen, daz wort Gottes bey andern glöubigen, in offnen kilchen uss farlessigkeit oder widerwillen nit hören, sonder anheimisch bliben, … oder vor Endung der Tagpredig (es wollte dan einer über feld ziehen) in offenen wein, zunfft, wirt, oder kochs hüsern brassen, … deren wöllend wir ein jeden, er sie wirt, gast, koch oder zunfftknecht, heimisch oder frömbd, so offt daz beschicht, umb ein pfund pfennig on gnad straffen.»

Der schlechte Gottesdienstbesuch wird beklagt, ebenso lässt der Besuch des Abendmahls zu wünschen übrig. Schon an der ersten Synode ist zu hören: «dass der heilig Sunntag zur zyt der verkündung des göttlichen worts missbrucht wird, dass vil am morgen über feld gond ohn erlaubniss der pfarrherren oder bannherren.» Sogar die regelmässigen Kirchgänger fanden sich zum grossen Teil nicht zu einer ganzen Predigt ein. Etliche blieben auf dem Kirchhof und hatten «daselbs ihr sonder geschwez, so lange man prediget.» In Sissach standen die Leute während des Gottesdienstes «uff der brugg» oder vor dem Wirtshaus. Jakob Löw aus Gelterkinden muss sich bald über Störungen der Gottesdienste beklagen, wenn er schreibt: «ob man glich am sundig prediget, standen die jungen uff der borkilchen, werfen uff die wiber steinli und triben mutwillig sachen, dadurch die predig verirret wurde…. Die diensten werden nicht zur kilchen gefurdert und in summa, die hörung des göttlichen worts ist liederlich und unflissig.»

Die Gründe für den schlechten Gottesdienstbesuch sind vielfältig: Bei vielen war es Gleichgültigkeit oder sogar Abneigung gegen den Glauben und die sittlichen Forderungen, welche die Kirche im Namen Gottes verkündete. Bei andern waren es die Anhänglichkeit an die frühere Messe und die Treue gegenüber der alten Kirche. Nicht selten waren aber auch die Pfarrer selbst schuld, denn sie predigten zu lange. So meinen die Bretzwiler 1538, man sollte eine Stunde predigen und nicht länger, und die aus Pratteln beklagen sich, dass ihr Pfarrer es «zwei Stunden treibe». Auch Störungen der Sonntagsruhe geben Anlass zu Klagen. So hört man schon 1531 aus Hölstein über die Schützen: sie «schüssen in der predig die büchsen ab.»

Ein zentrales Anliegen der Reformationsordnung ist der Unterricht der Jugend. So wird die Kinderlehre (der «kinderbricht») eingeführt, in der den Jungen der Inhalt der Heiligen Schrift, der christliche Glaube, und insbesondere die Sakramente nähergebracht werden sollten. Allein die Kinder kommen nicht – und die Schuld daran wird bei den Eltern gesehen, darum sollten diese ihre Kinder in die Kinderlehre begleiten und nachher zu Haus über das Erzählte abfragen.

 

Der Bauernaufstand von 1525

 Soviel vorweg: Die Unruhen in Stadt und Landschaft Basel waren gross. Aber anders als in deutschen Landen floss kein Tropfen Blut. Darum war es bei uns auch kein Bauernkrieg, sondern lediglich ein Bauernaufstand, eine Bauernerhebung. Es war am Vorabend der eigentlichen Reformation von 1529, als die Untertanen auf der Landschaft ihre Rechte geltend machten.
Der Rat der Stadt Basel berief darum auf den 3. Mai 1525 eine Versammlung nach Sissach ein, in deren Rahmen eine Ratsbotschaft behandelt werden sollte, auch stellte der Rat in Aussicht, dass die Beschwerden, welche die Bauern vorbringen werden, besprochen würden, damit es zu keinen «Widerwärtigkeiten» komme.
Allein es war schon zu spät. Am Sonntag, 30. April, fiel eine wilde Horte von Bauern über das Kloster Olsberg her; sie schmausten, zechten und fischten die Teiche aus. Und am 1. Mai brachen sie in den Pfrundkeller des Domstiftes in Liestal ein und stachen ein grosses Fuder Wein an; auch Bauern aus dem Farnsburger Amt tranken kräftig mit. Am 2. Mai fand eine Volksversammlung in Liestal statt. Und am Tag danach zog eine grosse Schar vor die Tore der Stadt Basel.
Am 4. Mai kam es zu einer Übereinkunft zwischen dem Rat einerseits und einer Abordnung des Landvolkes andrerseits. Danach hatten die einzelnen Ämter ihre Beschwerden zu formulieren. Für unsre Region war dies ja das Farnsburger Amt. Bereits am 5. Mai lag das Beschwerdeschreiben vor. Es lehnte sich sehr stark an die Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben an.
So soll jeder Gemeinde das Recht zuerkannt werden, ihre Pfarrer zu wählen und abzusetzen. Der grosse Zehnt (auf Getreide und Grossvieh), der sich biblisch begründen lässt, soll der Besoldung der Pfarrer dienen; ein allfälliger Überschuss soll für die Armen verwendet werden. Der kleine Zehnt (z.B. Weinzehnt auf gekelterte Weine, Heuzehnt auf geerntetes Heu, Holzzehnt auf geschlagenes Holz, auch Zehnt auf Färli, Obst, Zwiebeln und Kraut) soll aufgehoben werden. Die Leibeigenschaft soll abgeschafft werden, denn «Christus hat uns alle mit seinem kostbarlichen Blutvergiessen erlöst und erkauft.» Auch das Verbot, aus einem Amt ins andere «zu wyben und zu mannen», soll aufgehoben werden. Die Jagd soll allen erlaubt werden, denn es ist dem Wort Gottes nicht gemäss, «dass der arme Mann nicht Gewalt hat, Wildbret, Geflügel und Fische zu fangen. Denn als Gott der Herr den Menschen erschuf, hat er ihm Gewalt über alle Tiere, den Vogel in der Luft und den Fisch im Wasser gegeben.» Zudem wurde die freie Benutzung der Wälder gefordert, damit die Bauern sich mit Holz versehen können, «soviel sie zum Bauen und Brennen brauchen». Schliesslich sollte der «böse Pfennig», d.h. auf jedes Mass Wein (ca. 1,5 Liter) zwei Pfennig Steuern, abgeschafft werden.
Am 17. Mai wurde in Sissach verhandelt. Allerdings vermochte der Ratsabgeordnete, Bürgermeister Adelberg Meyer, nichts auszurichten. Doch nach zähen Verhandlungen – und Eingeständnissen auf beiden Seiten – wurde im Farnsburger Amt am 1. Juni der Eid auf die Freiheitsbriefe geschworen.
Diese besagen, dass die Leutpriester (die Pfarrer) das göttliche Wort gemäss dem Mandat von 1523 zu verkünden hätten. Der grosse Zehnt bleibt bestehen; auch der Heuzehnt wird Teil des grossen Zehntens. Der kleine Zehnt wird abgeschafft, ebenso die Leibeigenschaft und die Ungenossenehe (Heirat zwischen Angehörigen verschiedener Ämter). Der «böse Pfennig» wird aufgehoben. In Bezug auf die Jagd bleibt alles beim Alten: Hasen, Füchse, Wölfe, Bären, Dachse und sonstige schädliche Tiere dürfen gefangen und behalten werden. Das Hochwild darf nicht gejagt werden, Wildschweine dürfen nur gefangen genommen werden, wenn sie auf den Gütern Schaden anrichten.
Die Bauern der Landschaft Basel hatten viel erreicht, mehr als alle andern jener Zeit. Allerdings nur für eine kurze Dauer. Die Basler Regierung hatte nur unter dem Zwang der Verhältnisse nachgegeben und hoffte von Anfang an, bei günstiger Gelegenheit alles rückgängig machen zu können.
Besonnene Köpfe auf beiden Seiten führten zu dem für die Bauern eigentlich sehr positiven Resultat. Es kam zu keinen kriegerischen Auseinandersetzungen, es floss kein Tropfen Blut. Die wahren Gründe für die Bauernerhebung waren «das Leiden unter wirtschaftlicher Not und die Erbitterung über das stete Wachsen der fiskalischen Massregeln.» Aber – und das zeigen die biblischen Begründungen in der Beschwerdeschrift – die neue Glaubensbewegung war ein guter Boden für die Ideen der Bauern. Dem Rat missfiel das Zusammengehen von Reformation und Bauernaufstand; dazu kam auch das Aufkommen des Täufertums.
Auch Oekolampad bekam dies zu spüren, nachdem er im September 1525 eine Schrift über das Abendmahl verfasst hatte. In Paris landete sie auf dem Scheiterhaufen, in Basel wurde Oekolampad verboten, weitere Schriften in Basel drucken zu lassen.
An Zwingli schreibt Oekolampad am 22. Oktober 1525: «Übrigens schlafen unsere Gegner nicht, sondern versuchen alles, was den Basler Rat, der auch sonst mir nicht allzu gnädig ist, gegen mich aufhetzen könnte. … Einige von meinen Freunden meinen, ich sollte mich etwas zurückziehen; nichts habe ich weniger im Sinn. Sie müssen mich schon verbannen oder absetzen; sonst bleibe ich, so lange es der Herr erlaubt.»

Und das lesen Sie im nächsten Beitrag: Ein frommer Vikar in Sissach: Hieronymus Annoni


Ein frommer Vikar in Sissach: Hieronymus Annoni

 Markus B. Christ

Der religiöse Aufbruch im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts wird als Pietismus bezeichnet. Kriegerische Auseinandersetzungen (vor allem der Dreissigjährige Krieg), aber auch Seuchen, allgemeine Not und Verwahrlosung veranlassten die Menschen nach Geborgenheit zu suchen. Der Pietismus entspringt zudem einem Gefühl an mangelhafter persönlicher Frömmigkeit. Er versteht sich als eine Bibel-, Laien- und Heiligungsbewegung (Heiligung bedeutet das neue Leben eines Christenmenschen durch die Rechtfertigung allein durch den Glauben). Viele Pietisten reden auch von einer «zweiten Reformation».

Für Stadt und Landschaft Basel war Hieronymus Annoni, auch d’Annone genannt, (1697-1770), Pfarrer in Waldenburg und Muttenz, die prägende Figur des Pietismus. Er wird auch als «Vater des baslerischen Pietismus» bezeichnet. Er wurde als Sohn des Uhrmachers und Ratsherrn Niclaus und der Salome Burckhardt geboren; seine Vorfahren waren Waldenser, die aus Glaubensgründen aus dem Tal des Tanaro im Piemont fliehen mussten.

Und dieser Annoni war im Jahr 1726 in Sissach als Vikar tätig. Er trat seine neue Stelle am Palmsonntag mit einer Predigt an. Allerdings plagten ihn von Beginn an immer wieder schwere Zweifel und seine Überzeugung, er könne den Anforderungen nicht genügen, sei dem Amt nicht gewachsen. Andrerseits fühlte er sich den Erweckten gegenüber zu seiner Art der Amtsführung und Verkündigung verpflichtet. Erweckung meint ein einschneidendes subjektives Erlebnis des plötzlichen Ergriffenseins durch Gott, was zu einer radikalen Kehrtwende im Leben und zur völligen Hingabe an Gott führen kann. Den Sissacher Vikar quälte unter anderem die Frage, ob er das Abendmahl auch Nichterweckten austeilen dürfe oder ob er es ihnen verweigern müsse. Hilfe gab es dabei vom Dekan Johann Rudolf Frey (von 1696-1738 Pfarrer in Sissach), der sich bereit erklärte, das Sakrament selber auszuteilen.

Bald darauf erkrankte Annoni schwer. Man vermutete Gichtern (hat nichts mit Gicht zu tun), eine Erkrankung mit Krämpfen, hohem Fieber und Schüttelfrost. Die Krankheit, so schreibt er in seinem Tagebuch, habe ihm vor Augen geführt, wie sehr es ihm an lebendigem Glauben und christlicher Gelassenheit fehle, den einzigen Mitteln, «zur Ruhe und zur Seligkeit zu gelangen». Die Krankheit bestärkte Annonis Zweifel an seiner körperlichen Tauglichkeit für den Pfarrberuf. Dabei hatte der Vikar auch viel Positives erlebt. Gerade während der Krankheit habe er die Liebe und Anhänglichkeit einiger Erweckter erfahren dürfen. Annonis Mutter pflegte ihren Sohn zunächst in Sissach, danach in Basel.

Die Zweifel, ob er den Beruf richtig ausüben könne, und Zukunftsängste brachten ihn dazu, sich wieder um seine vormalige Stellung als Hauslehrer in Schaffhausen zu bewerben. Judith In Thurn stellte ihn auch wieder an. Und so kam es am 28. Oktober 1726 bereits zu seiner Abschiedspredigt in Sissach: «In folgenden Tagen beurlaubte ich mich bey allen denen Freunden und Bekannten in und ausser der Gemeine, welche mir der Liebe Gott erwecket und geschenket hatte. Es kostete allerseits viel Seufzen und Thränen, und meyneten insonderheit viele redliche Herzen, es müsse nicht seyn, dass ich sie sobald wieder verlasse.»

In einem Fürbittegebet, das im Tagebuch zu finden ist, wird Annoni konkreter: Er beklagte die trostlose Lage der armen Schäflein, die keinen verständigen Hirten hätten. Im Blick hat er dabei seinen Kollegen Frey, der als Dekan sehr streng gewesen sein muss. Früher oder später wäre es wohl zu Auseinandersetzungen zwischen den Beiden gekommen. Das wollte Annoni durch seinen Weggang offenbar vermeiden.

Nach seiner Schaffhauser Zeit unternahm Annoni verschiedene Reisen, unter anderem nach Herrnhut, wo er persönliche Kontakte zu den Herrnhutern knüpfen konnte. Erst 1740 trat er die Pfarrstelle in Waldenburg an, wo er bis 1747 seinen Dienst versah. Von 1747 bis zu seinem Tod am 10. Oktober 1770 war er dann Pfarrer in Muttenz. 1762 bis 1764 unterstützte ihn im Pfarramt Johannes Rudolf Burckhardt als Vikar. Aus Burckhardts Ehe mit Margaretha Merian entspross ein Sohn: Daniel Burckhardt, der dann von 1812 bis zu seiner Entlassung 1833 Pfarrer in Sissach war.

Annoni war Wegbereiter des Pietismus, zudem ein begnadeter Prediger, zu dessen Hörern in Muttenz viele Leute aus der Stadt Basel gehörten. Er hat viele geistliche Lieder verfasst und herausgegeben (Der «Erbauliche Christenschatz»); zwei davon finden sich in unsrem Gesangbuch: 350 «Es segne uns der Herr» und 549 «Hilf, A und O, Anfang und Ende». Zudem hat er auch zahlreiche profane Gedichte zu allen möglichen Anlässen im Jahres- oder Lebenslauf verfasst, besonders zu erwähnen sind etwa sein Posamenterlied oder die «Erbaulichen Wasch-Gedanken».

Wer mehr über Hieronymus Annoni erfahren möchte, sei auf das Buch von Hildegard Gantner-Schlee verwiesen, erschienen 2001 im Verlag des Kantons Basel-Landschaft (Quellen und Forschungen Band 77). Diesem habe auch ich verschiedene der Angaben zu Annoni entnommen.

Damit schliesse ich meine Reihe «Sissach zur Reformationszeit» ab und bedanke mich für die Reaktionen auf meine kurzen Artikel.